Wunder der heiligen Nacht
...
In der Weihnachtswoche des Jahres 1928 war die stolze „ Elise Schulte „ aus einem Nordseehafen ausgelaufen zu einer Fahrt in die nordischen Meere.
Laut Logbuch war der schmucke 14 000 Tonnen Dampfer in Emden beheimatet und mit wertvoller Kohlenfracht nach Narvik unterwegs. Für die Fahrt waren acht Tage vorgesehen, das Weihnachtsfest mußte somit auf See gefeiert werden. Glasklares Winterwetter mit bester Sicht versprach eine reibungslose Fahrt.
Im Wetterwinkel des Skagerak jedoch schien etwas in der Luft zuliegen. Flinke Wellenreiter preschten gegen das Schiff und klatschten drohend an die Bordwand, zusehends verschlechterte die Sicht. Das prächtige Schiff nimmt zunächst die Hürden mit gewohnter Sicherheit. Eisige Schneeböen peitschten über Deck – Windstärke 10.
Die schweren Brecher reißen die ersten Luken auf. Die Mannschaft ringt mit ganzer Kraft um die Dichtung des aufgerissenen Lecks. Windstärke 11 wie ein verlorener Korken taumelt die riesenlast des Dampfers auf den Wellenkämmen, um dann in gähnende Tiefen geschleudert zu werden. Auf der Höhe von Kopavik gellt verzweifelt der Lotsenruf in die Nacht. Doch die Hilferufe verhallen ungehört. Dann hämmert der Funker pausenlos sein beschwörendes SOS in den Äther. Stunden schon, eine qualvolle Ewigkeit liegt die Elise Schulte bereits in schmerzlichem Todeskampf. Ein letzter Befehl gellt in das Dunkel: ” Alle Mann an Deck, Offiziere auf die Brücke”
Ein Kommando das äußerste Not ahnen läßt.
Und es kam doch noch ein Zeichen vom Himmel. Mit letzter Kraft kämpfen sich zwei Lotsen an das Schiff heran. Zu spät jedoch für das waidwund geschlagene Schiff.
Das Ruder ist gebrochen und im gigantischen Ringen mit der aufgewühlten See und dem gestauten Gletscherwasser, das der Fjord ausspeien möchte, wird das Wrack trotz letzter Hilfe von Neptuns zürnender Faust hochgeschleudert und auf ein Felsenriff geschmettert. Das stoze Schiff liegt in seinen letzten Zügen. Seine Sirenen klagen mit ersterbender Stimme. In die Stille hinein fordert die Trillerpfeife den letzten Ausweg: „ Alle Mann von Bord „ Die Heizer stürzen an Deck, der Lotse hängt mit den Leuten an die Reling geklammert. „ Springen „ fordert er von den Mutlosen. Ja, aber wohin? „ Springen „ gebietet von Neuem eine Stimme aus dem Dunkel. Der wackere Lotse ist als erster gesprungen, nunklatschen die Körper in die kochende See, kommen wieder hoch und rudern in die Richtung, die Land und Rettung vermuten lassen. Von irgendwoher recken sich helfende Hände den Kameraden entgegen. Als letzter verläßt der Kapitän das ausgeblutete Wrack und findet Rettung.
Auf einer der tausend Schären vor der nordischen Küste steht die Besatzung der Elise Schulte auf engstem Raum. Rang und Titel sind ausgelöscht. Ein neues Wort der Kapitän fordert „ Laufen „ Die Kälte bedroht die Geretteten. Eisige Nordstürme lassen das Mark in den Knochen erstarren.
66 Männer auf aalglattem Granitbuckel laufen und laufen immer wieder im enggesteckten Raum schweißgebadet mit schwindender Kraft. Zehn lange, lange Stunden, eine kleine Ewigkeit, warten die Erschöpften auf Hilfe.
Der neue Tag sieht ein Menschenknäuel das scheinbar sinnlos um den Inselrand stolpert, dann endlich naht das Rettungsboot, das die Halbtoten in das Krankenhaus von Trondheim bringt.
Am ersten Weihnachtstag verkündet der Funk den Daheimgebliebenen das tragische Schicksal der Elise Schulte.
Unser verstorbenes Mitglied Jakob Rech war der Stewart der Elise Schulte. Er war jahrzehnte lang auf großer Fahrt, die ihn durch alle Meere führte.
Die Blutsverbundenheit und das Heimweh führten den angegrauten Seemann zu den Berghalden und Fördertürme zurück in seine Heimat.
Kein Weihnachtsfest verging, ohne dass der Heimkehrer beim traditionellen Tee mit seiner ostfriesischen Frau die Erinnerung wachruft an jene Schiffskatastrophe in Norwegens Schären und an das Wunder der heiligen Nacht.
der Untergang der " Elise Schulte "